Textil- und Flächendesign
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ECOLIBIRIUM, WS 20/21
SZENARIO
Es ist das Jahr 2150. Das Leben geht weiter. Die düstere und dystopische Zukunft, welche vor einem Jahrhundert prophezeit wurde, trat nie ein. Nichtsdestotrotz durchlief die Menschheit und die Gesellschaft im Allgemeinen im Laufe der Zeit eine Reihe an Veränderungen. Ein Großteil der Weltbevölkerung lebt nun in hoch organisierten, dicht bevölkerten Megastädten. Jahrzehntelang waren Großstädte ein Ergebnis kommerzieller Ansprüche und übereilter funktionaler Entscheidungen. Megastädte hingegen sind aufgebaut aus sorgfältig organisierten und durch- dachten Netzwerken. Jede Infrastruktur, jedes Gebäude und jedes System ist eng mit der Ideologie der Gesellschaft verbunden, deren Kern darin besteht, ein Gleichgewicht mit der Natur zu bewahren und eine harmonische Beziehung mit dem Ökosystem aufrechtzuerhalten.
Mit dem Wertewandel in der Gesellschaft und der Weiterentwicklung von Recycling-Technologien werden Überschuss und Verschwendung auf ein Minimum reduziert. Der Zugang zu sauberem Wasser wird durch ausgeklügelte Wasserfiltrations- und Reinigungssysteme ermöglicht, während Nahrungsmittel in vertikalen Farmen sowie in Laboren effizient angebaut werden. Die Transportsysteme sind sicher, öffentlich und werden mit erneuerbarer Energie betrieben.
Trotz eines starken Anstiegs der Lebenserwartung, bleibt die Sterblichkeit bestehen. Und durch die stetig wachsen- de Bevölkerung, müssen sich die Megastädte nicht nur an begrenzten Wohnraum anpassen, sondern auch an einen Mangel an Bestattungsplätzen. Traditionelle Bestattungsformen wie Erd- und Feuerbestattung (sowie die Aufbewahrung von Urnen in Kolumbarien) sind aus Platz- und Umweltgründen nicht mehr praktikabel und wurden schon seit langer Zeit von ökologischeren und ganzheitlicheren Alternativen abgelöst, die eher dem Lebens- und Sterbeempfinden der Menschen und ihrer Beziehung zur Natur entsprechen.
Inmitten der Metropole wird dafür ein neue Interpretation eines botanischen Gartens als lebendiges Monument errichtet, welches die Vergangenheit ehren und die Zukunft neu gestalten soll. An diesem einzigartigen Ort – einer großen Glaskuppel, welche in Form und Funkti- on zunächst einem gewöhnlichen Gewächshaus ähnelt – werden eine Vielzahl von gefährdeten Pflanzenarten kultiviert und gepflegt. Neben dieser Funktion ist der Ort jedoch auch als letzte Ruhestätte für Verstorbene konzipiert.
Die Bewässerung der Pflanzen in der Kuppel wird über- wiegend durch die flüssigen Überreste, die durch alkalische Hydrolyse entstehen, aufrechterhalten. Auf diese Weise können Menschen auch nach ihrem Tod noch zum Erhalt der Pflanzen- und Artenvielfalt beitragen. Damit nimmt der Garten in der Stadt neben seiner Funktion als Bestattungsstätte auch eine wichtige Rolle in Forschung, Erholung und Bildung ein.
KONZEPT
Ecolibrium, ein Portmanteau aus den Wörtern ‚eco‘ und ‚equilibrium‘, ist eine Reihe von neuen Bestattungsritua- len, die an einen ökologischeren Ansatz von Bestattun- gen in der Zukunft angepasst sind.
In der unteren Etage der Kuppel werden Verstorbene durch den Prozess der alkalischen Hydrolyse in Was- ser aufgelöst. Dieses Verfahren der Wasserkremation verkürzt durch die Verwendung von Lauge und Hitze den natürlichen Abbauprozess eines Körpers, der sonst bis zu 25 Jahre dauern kann, auf drei Stunden. Am Ende verbleibt eine saubere Flüssigkeit, welche als Dünger für Pflanzen verwendet werden kann, sowie weiche, poröse weiße Knochenfragmente, die dann zu Asche verarbeitet werden.
Das Schlüsselelement des Rituals ist ein Holzbrett mit Vertiefungen, welches für die Zeremonie entworfen wurde. Das Brett enthält eine Form, die mit einer Schicht aus Gaze ausgekleidet wird. Vor der Zeremonie wird die Asche mit Wasser vermischt und in die ausgekleidete Form gegeben, um eine Fliese zu formen. Dies ist ein Prozess, an dem sich auch die Trauernden beteiligen können, sofern gewünscht.
Wenn das Brett komplett vorbereitet und die Fliese fest ist, wird sie vom Bestattungsleiter zu dem Ort in der Kuppel getragen, an dem die Zeremonie stattfinden soll. Die Fliese wird dann aus der Form genommen und mit einem Moosstarter (einer Mischung aus Moos und gesunder Bakterien) beträufelt. Damit kann der Wachstumsprozess auf der strukturierten Fliese beginnen. Die Fliese wird dann von den Angehörigen auf eine leere Stelle der Erde in der Kuppel gelegt und mit der Zeit zu einem Element der Begrünung.
Ein Teil der flüssigen Überreste wird in Biokunststoff- Kapseln gefüllt, die aus abgefallenen Blättern und Blüten aus dem Garten bestehen. Sie werden den Trauernden auf dem Brett zusammen mit der Fliese präsentiert. Die Anwesenden sind dazu eingeladen, sich eine Kapsel
zu nehmen und einen Platz in der Kuppel zu suchen, um dort einen Moment der Stille und Erinnerung zu verbringen. Die pipettenartigen Kapseln ermöglichen es den Trauernden, die verstorbene Person symbolisch der Erde zurückzugeben, indem sie das Ende in die Erde stecken und leicht drücken, sodass ihr Inhalt langsam herausfließen kann. Mit der Zeit zersetzen sich die leere Kapseln auf natürliche Weise. Die flüssigen Überreste, die nicht in Kapseln gefüllt wurden, stehen für die Bewässerung des Gartens zur Verfügung.